Ansbach: Anselm von Feuerbach
Appellationsgerichts-Präsident und das Findelkind Kaspar Hauser



Wenn, wofür Zeit und Ort des Geschehens, Motiv und Indizien sprechen, es Auftragsmorde waren, haben die Täter nahezu perfekt gearbeitet und/oder sind in höchsten Kreisen zu suchen. Zur Belohnung ausgesetzte 180.000 Gulden brachten ebensowenig ein Ergebnis wie Untersuchungen seit fast 200 Jahren.
Auf einer Reise zum Schwalbacher Bad stirbt er am 29. Mai 1833 in Frankfurt am Main.
Nicht der leiseste Verdacht kommt bei diesem Satz auf. Hellhörig muss machen, dass sein Schützling am 14. Dezember 1833 Opfer eines zweiten Attentats wird, an dessen Folgen er drei Tage später stirbt. Verdacht auf Fremdeinwirkung beim Tod des Reisenden kommt auf, wenn man den Zweck seiner Reise erfährt:



Er recherchierte im Geheimauftrag König Ludwig I., ob der 5 Jahre vorher aufgetauchte Unbekannte ein Sprössling des Hauses Baden sei. Heute wäre das mit der DNA-Methode exakt zu ermitteln. Das Haus Baden aber verweigert den Zugang zur Familiengruft in der Pforzheimer Schlosskirche. Dort liegen die Gebeine des 1812 als Säugling begrabenen angeblichen Prinzen, dessen offizieller Tod die Thronfolge in der badischen Dynastie entscheidend geändert hatte.
Bezeugt ist, dass der sterbende Appellationsgerichtspräsident aus Ansbach selbst anordnet, seinen Leichnam zu obduzieren. Die zum Tode führende Krankheit soll "nervös" gewesen sein, Gift wird nicht nachgewiesen, Einsicht in das Sektionsprotokoll wird selbst engsten Familienangehörigen verweigert.




Nomen erat compositum ex igne et rivo, Grabinschrift für einen Vorfahren.
Prof. Dr. jur. et phil. Paul Johann Anselm Feuerbach, Begründer der modernen Strafrechtslehre, Freigeist und widerspruchsfreudig, leidenschaftlich und herrschsüchtig, Feuerkopf (Vesuvius nennt er sich selbst), impulsiv und reizbar, jähzornig, ist vorehelich 1775 bei Jena geboren, wird mit 25 Jahren dort Professor, lehrt in Kiel und Landshut (erster Protestant an einer bayerischen Hochschule!), tritt 1805 in das Justizdepartement ein, wo er 1806 die Folter abschafft. 1808 wird er Mitglied des Staatsrats und Ritter. Er entwirft das Strafgesetzbuch, sein Grundsatz Nullum crimen, nulla poena sine lege steht heute als Justizgrundrecht in Art. 103 Abs. 2 GG. 1817 wird er Präsident des Appellationsgerichts Ansbach. 1829 fällt er bei einer Gerichtsverhandlung vom Stuhl, ist für Stunden ohnmächtig und seitdem kränkelnd. Er wohnt am Karlsplatz.

Brief an den Sohn: Ich hatte schon den philosophischen Doktorgrad genommen, um als Lehrer der Philosophie aufzutreten. Aber sieh! Da wurde ich mit deiner Mutter bekannt. Ich kam in den Fall, mich ihr verpflichet zu erkennen; es galt ein Fach zu ergreifen, das schneller als die Philosphie Amt und Einnahme bringe - um deine Mutter und dich ernähren zu können. Da wandte ich mich mit raschem, aber festem Entschluss von meiner geliebte Philosophie zur abstoßenden Jurisprudenz.


Viel ist über die Belastung der Feuerbach-Familie mit Geisteskrankheiten geschrieben worden unter dem Motto "Genie und Wahnsinn..."

Mit seiner Frau, geborener Tröster, hat Feuerbach ("Haustyrann mit Prügelpädagogik, der sich eine Geliebte hielt") fünf Söhne und drei Töchter, mit Nanette Brunner außerehelich zwei Söhne.

Seine Genialität vererbt er den Söhnen:

  • Josef Anselm Feuerbach - Professor für klassische Philologie und Archäologie ( Der Vaticanische Apollo), Vater des Malers Friedrich Anselm Feuerbach
  • Karl Wilhelm Feuerbach - Gymnasialprofessor für Mathematik (Feuerbachkreis)
  • Eduard August Feuerbach - Professor der Rechte
  • Ludwig Andreas Feuerbach - bedeutender Philosoph
  • Friedrich Heinrich Feuerbach - Sprachforscher (Indologe), Übersetzer und Schriftsteller

1828, als das Findelkind Europas in Nürnberg auftaucht, nimmt sich Feuerbach seiner als Vormund an. Er veröffentlicht


Kaspar Hauser.
Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben des Menschen
,

das nach wie vor wohl bedeutendste Werk zum Thema, gewidmet übrigens Lord Stanhope, der eine zwielichtige Rolle im Kriminalfall besetzt.




Das Ergebnis seiner Untersuchungen zur Herkunft des Findelkindes fasst er in einem streng geheimen Memoire, gerichtet an die bayerische Königin Karoline (eine badische (!) Prinzessin, die den Bericht im Februar 1832 erhält), in dieser brisanten Sache dem Wort Seiner Mäjestät auf Diskretion vertrauend, zusammen:
Kaspar Hauser ist ein Kind fürstlicher Eltern, welches hinweggeschafft worden ist, um anderen, denen er im Wege stand, die Sukzession zu eröffnen.
Er, so Ritter Feuerbach, verfüge über Belege. Die Spuren führten ins großherzogliche Schloß zu Karlsruhe. Die Öffentlichkeit erfährt weder vom Dossier noch dessen Inhalt. Lediglich 1845 gibt es einen Skandal am Hofe Baden wegen der Affäre Kaspar Hauser und 1852 löst die Veröffentlichung durch Feuerbachs Sohn Ludwig Stürme der Entrüstung aus. Im Nachlass des Ritter Feuerbach ist zu alledem nichts zu finden, betroffene Fürstenhäuser sind nur mit Majuskeln zitiert.



Kaspar Hausers Drama, die Menschheitsfragen schlechthin enthaltend, wird Mythos. Seine Faszination in den Medien, bei Schriftstellern, Historikern, Kriminologen, Verschwörungstheoretikern, Künstlern, Juristen, Theologen, Medizinern, Pädagogen, Psychologen, Hobbykriminalisten und Psychiatern haben ihn, seit seinem Erscheinen am Unschlittplatz in Nürnberg unsterblich gemacht:

Wer bin ich und woher komme ich? Wohin gehe ich?

Am Platz, der seinen Namen trägt, steht in Ansbach ein Museum mit allen relevanten Kaspar-Hauser-Fundstücken. Und seit ein paar Jahren gibt es in der Stadt neben Bach- und Rokoko- auch Kaspar-Hauser-Festspiele...



Baden hat sich mit Napoleons Protektion und geschickter Diplomatie des Freiherrn Sigismund von Reitzenstein bedeutend vergrößert. Im Reichsdeputationshauptschluß erhält es eine Reihe kleiner Fürstentümer, geistlicher Gebiete und Reichsstädte, darunter die Kurpfalz mit Mannheim und Heidelberg.
Seit seinem Beitritt zum Rheinbund 1806 darf Kurfürst Markgraf Karl Friedrich sich Großherzog nennen.
Feuerbachs Ergebnis, das Findelkind Kaspar sei Thronfolger von Baden, beruht auf folgenden Thesen:



Nach seiner Geburt ist er gegen ein sterbendes Kind ausgetauscht und dann versteckt worden. Das Neugeborene ist einziger überlebender männlicher Nachkomme des Großherzogs Karl von Baden (Zähringer). Dieser Sohn und seine männlichen Nachkommen wären jeweils dynastisch Erbprinzen.
Tatsachen sind: Am 29. September 1812 bringt die Großherzogin einen Sohn auf die Welt, der im Oktober des gleichen Jahres stirbt. Identität des untergeschobenen Kindes ist mit dem am 26. September 1812 geborenen Johann Ernst Jakob Blochmann, Sohn eines Arbeiters am herzoglichen Hof und im Dienst der Gräfin Luise Karoline von Hochberg gegeben.
Der Wiener Kongress hatte festgelegt, die zu Baden gehörende Pfalz falle an Bayern, wenn das Geschlecht Zähringen ohne männlichen Nachfahren bliebe, woraus sich zwanglos ein bayerisches Interesse am Aussterben der Zähringer ergeben könnte.



Gräfin Hochberg war die zweite Frau des 1811 verstorbenen badischen Großherzogs Carl Friedrich und 40 Jahre jünger. Aus der Ehe stammen 4 Kinder, darunter drei Söhne. Einer von ihnen, Leopold, übernimmt 1830 als Thronfolger die Regentschaft in Baden. Diese hätte aber dem (angeblich) verstorbenen Nachkommen erster Ehe - Kaspar - zugestanden. Eine Mithilfe der als herrschsüchtig bekannten Gräfin Hochberg bei Beseitigung dieses "Hindernisses" liegt nahe.
Nach einer anderen Version im machtpolitischen Spiel zwischen den Bayern und Baden habe das bayerische Königshaus Feuerbach auf den Findling angesetzt, um ihn dem Hause Baden in die Schuhe zu schieben.



Johann Heinrich David Hennenhofer, Hauptakteur der gesamten Affäre: Er überbringt Napoleon in Moskau die Nachricht vom Tode seines Adoptivenkels, dient sich vom Schiffersohn zur éminence grise im Großherzogtum hoch, der gerissenste, wendigste, gewissenloseste Staatsdiener zur Biedermeierzeit in Baden: seiner tüchtigen Liederlichkeit wegen geadelter Buchhändler-Commis, Agent für alle sauberen und unsauberen Fälle, Major und Staats-Karrierist. Zeit seines Lebens als Mörder Kaspars bezichtigt, entgeht er nur knapp Lynchversuchen der aufgebrachten Bevölkerung. In der Zeit des Ersten Weltkriegs wird sein Grab vom Freiburger Friedhof entfernt, immer wieder erschien das “M”, das für Mörder steht, auf dem Gedenkstein; seine Memoiren sind plumpe Erfindung...



Eine pikante wiederum andere Spekulation ist, dass Napoleon selbst in die Sache verwickelt gewesen sein könnte. Stéphanie de Beauharnais-Bonaparte, seine Adoptivtocher und Nichte der Kaiserin Josephine, führte ein unglückliches Eheleben. Napoleon verheiratet sie standesgemäß mit dem Haus Baden. Erbprinz Karl von Baden führt zunächst sein ausschweifendes Junggesellenleben fort, doch nach Napoleons Rüge versöhnen sich die Eheleute. 1811 soll es eine intimen Zusammenkunft Stéphanies mit ihrem Idol Napoleon gegeben haben, Kaspar sieht Napoleon II. ähnlich. Ein außereheliches Kind der Großherzogin wäre für diese, den natürlichen Vater wie die badische Dynastie untragbar gewesen.




Bei Jacob Wassermann wird Präsident Feuerbach, der wahre Freund Caspars, vergiftet. Das Gesicht des Toten sieht gelb wie eine Zitrone aus.
Ein eifriger Hobbyforscher aus Ansbach, felsenfest von Erbprinztheorie und Giftmord per Arsenik an Ritter Feuerbach überzeugt, will im Jahr 2000 Neues über Kaspar bei einem Schweizer Verleger herausbringen, der aber taucht unter, wird vom Staatsanwalt gesucht.
Ab 1945 findet eine internationale Gerichtsverhandlung zur Sühne schlimmster Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes unweit Ansbachs statt, wohin 1871 Feuerbachs Appellationsgericht verlegt wird. Über den Urteilen steht mahnend dessen Grundsatz Nulla poena sine lege.



Im "Feuerbachhaus" zu Ansbach residiert eine renommierte Anwaltskanzlei, deren Chef zu Feuerbach aufschaut.

Aber all das sind andere Fundstücke ...


Feuerbachs Büste von Gerhard Engerer im Feuerbachhaus/Ansbach



Nachtrag
Ulrich Flechtner, Kollege von Anselm Feuerbach und dem Autor der Website wird deutlich:
Es war Mord - ich sage es ganz klar.
Der Hobby-Forscher zum Thema Kapar Hauser sammlt ein Kompendium an Tatsachen, getragen von der Überzeugung, dass Kaspar Hauser der Erbprinz von Baden ist. Er baut an einem gigantischen Mosaik. Darin weiß er selbst Stolpersteine wie die Frage, warum ein mögliches Austauschkind von der nächsten Umgebung nicht als solches erkannt wurde, noch als bildgebenden Punkt einzuarbeiten. Er legt das Motiv zum Austausch dar, warum es wichtig war, das Kind zunächst am Leben zu lassen, und warum es ab einem bestimmten Zeitpunkt verschwinden musste. Er erläutert, wie es möglich war, die Kinder zu vertauschen und belegt per Urkundenbeweis die Identität des Kindes.
Über dem Mosaikbild erscheint immer klarer ein spinnenweb-ähnliches Beziehungsnetz von Orten, Personen und Interessen, das eine beinahe zwingende Handlungsmechanik erkennen lässt.
Auch bisherige Untersuchungen und Ermittlungen erwecken bei Flechtner nicht den leisesten Zweifel.
1996 will der Spiegel die Theorie über die adelige Herkunft des Findlings entzaubern. Mit Hilfe einer DNA-Untersuchung weist das Magazin nach, dass der Blutfleck auf der Unterhose Hausers nicht mit dem Gencode der Abkömmlinge der Zähringer-Linie des Hauses Baden übereinstimmt. Das Ende des Erbprinz-Mythos?
Dieser Fall offenbart ein Problem der Gentechnik, das modernen Kriminalisten zu schaffen macht. Spuren lassen sich zwar häufig zweifelsfrei identifizieren, aber sie müssen auch zweifelsfrei dem Täter zuzuordnen sein.



Um im Gerichtssaal einen Angeklagten verurteilen zu können, muss die Indizienkette geschlossen sein. Trotz DNA-Nachweis sind häufig weitere Gutachten, etwa über Blutalkohol, eine toxische Expertise oder auch die Obduktion der Leiche notwendig. Fraglich ist, ob das Blut auf der untersuchten Unterhose tatsächlich von Hauser stammt. Eine Frage, die Richter Flechtner auch, wäre es ein aktueller Fall, in einem Prozess eindeutig beantworten können müsste.
Tatsächlich entzaubert ein weiteres DNA–Gutachten Jahre später das Nachrichtenmagazin Spiegel.
2002 untersucht ein Rechtsmediziner eine Haarlocke Hausers und vergleicht sie mit der DNA einer lebenden Nachfahrin des Hauses Baden. Diesmal heißt es, die Spur führe doch ins Fürstenhaus. Der Mythos lebt weiter.
Nähert er sich dem Ende, seit durch ein Rechtsgutachten geklärt ist, dass die Särge in der Pforzheimer Gruft im Eigentum des Landes Baden-Württemberg stehen, dessen Ministerpräsident entschlossen ist, die Särge zu öffnen, um den dort Ruhenden DNA-Gut zur Klärung im Fall Hauser zu entnehmen?
Wir sind gespannt - heute, im Oktober 2012 ist noch alles offen.