Ein Bayer als König in Hellas
Nauplia: Die erste Residenz

Wer, nachdem er Odysseus' Schicksalskap Maleas umrundet und in den Argolischen Golf einläuft, vorbei an Monembassia, Kyparissi, Paradia und der Halbinsel Astros mit Ziel Nauplia, wird, wenn er dort anlegt, seinen Frappé bezahlt und eine 20-Ct.-Münze zurückbekommt, auf ihr das Konterfei eines gewissen Ioannis Antonios Graf Kapodistrias erkennen.



Hätten die Griechen ihre - die älteste Währung Europas! - Drachmen, behalten und nicht aufgegeben im Globalisierungswahn von Politik und Weltwirtschaft, wäre auf der 5-Drachmen-Münze das Porträt eines anderen zu sehen: Otto I.



Wenn der Segler auf der Hafenpromenade mit Blick auf das befestigte Eiland, vormals Gefängnis, Bourtzi, mitten in der Bucht gelegen, seinen Eiskaffee schlürft, sieht er den gleichen Prospekt wie vor knapp 200 Jahren: den Einzug Ottos in seine künftige Residenz.





1830 wird Nafplion erste Hauptstadt Griechenlands und Kapodistrias Staatsoberhaupt. 1833 zieht ein bayerischer Königssohn als König Otto I. von Griechenland dort ein.




1359 bis 1451 erobern die Osmanen den größten Teil Griechenlands. Dann dehnen sie ihr Reich auf das gesamte griechische Gebiet (außer den Ionischen Inseln) aus. 1821 aber verkündet Bischof Germanos von Patras offiziell den Beginn des Unabhängigkeitskrieges Griechenlands gegen die türkische Fremdherrschaft.

Was wie ein lokaler Freiheitskampf beginnt, erreicht rasch europäische Dimensionen: Überall unterstützen »philhellenische Vereinigungen« materiell und geistig den Aufstand, für die »Heilige Allianz«, die Metternich auf Unterdrückung aller liberal-nationalen Bewegungen einschwor, ist dieser Kampf die politische Nagelprobe. Die öffentliche Meinung zwingt sie zu progriechischen Aktionen, und nach der Seeschlacht bei Navarino 1827 muß die unterlegene Türkei die Unabhängigkeit Griechenlands bis auf den Norden, auf die Inseln Kreta, Chios und Samos anerkennen: Zentralgriechenland, Peloponnes und Kykladen werden das Königreich Griechenland.



Als 1831 Ioannis Antonios Graf Kapodistrias, erster Präsident, ermordet wird, herrscht Chaos.

Graf Kapodistrias war der Vertraute Zar Alexanders von Rußland. Als dieser sich gegen den Aufstand der Griechen erklärt, nimmt der Graf 1822 als Freund des griechischen Freiheitskampfes seine Entlassung aus dem russischen Staatsdienst, unterstützt von der Schweiz durch Wort und Tat (er lässt viele junge Griechen auf seine Kosten ausbilden) die Sache der Hellenen. Der Zustand des armen und verwüsteten Griechenlands führt Kapodistrias zum unerwarteten Einsatz harter Maßnahmen: Diese Ordnungsmaßnahmen, die zügige Reorganisation des Landes überfordert viele Griechen, der Graf zieht den Hass der Klan-Familien auf sich. Auch das Volk misstraut ihm zunehmend, nennt ihn den "russischen Präfekten". Der Widerspenstigkeit seiner Gegner setzt Kapodistrias ein immer strafferes autokratisches Regiment entgegen.
Man beschuldigt ihn außerdem, die Ablehnung der griechischen Krone durch Prinz Leopold von Coburg absichtlich herbeigeführt zu haben, um selbst König zu werden. Auf Hydra und in der Mani brechen Aufstände aus, und als Kapodistrias den Fürsten von dort, Petros Mavromichalis, verhaften läßt, ermorden ihn dessen Bruder und Sohn am 9. Oktober 1831 in Nauplia auf dem Weg zur Kirche.



Die Großmächte setzen den Wittelsbacher Prinzen Otto, geboren 1815 in Salzburg als Sohn des späteren König Ludwigs l. von Bayern und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen, als Otto l. zum König Griechenlands ein, der griechische Nationalkongreß bestätigt ihn. Seine Erziehung war weder darauf gerichtet gewesen noch inhaltlich geeignet, ihn auf die Aufgaben eines Herrschers in Griechenland vorzubereiten.
Er - von Restauration und Absolutismus geprägt - steht diametral dem Philhellenismus und Klassizismus gegenüber. Die Griechen haben wenige Jahre zuvor ihre Freiheit von der jahrhundertelangen Türkenherrschaft erlangt, das Land heruntergewirtschaftet.
Otto behält seine Apanage als bayerischer Prinz und 3.500 bayerischen Soldaten begleiten ihn Er ist verpflichtet, keine feindseligen Aktionen gegen das Osmanische Reich zu unternehmen. Ihm steht nur der Titel "König von Griechenland" zu – nicht aber "König der Hellenen": angesichts der zahlreichen noch im türkischen Reich lebenden Griechen gefährlich provokativ. An Bord der britischen Fregatte "Madagascar" erreicht Otto von Brindisi kommend Nafplion.



Am 6. Februar 1833 besteigt Otto - 17jährig - als "Von Gottes Gnaden, König von Griechenland" den Thron, heiratet 1836 in Oldenburg die Herzogin Amalie von Oldenburg, (der er nicht immer treu ist: u. a. hat er mit der Ex-Geliebten seines Vaters, Jane Digby ein Verhältnis). Und 30 Jahre - eine ganze Generation lang - wird er in Griechenland herrschen.



Ein Regentschaftsrat führt die Amtsgeschäfte für den unmündigen König: Die Bayern Joseph Ludwig von Armansperg, Georg Ludwig von Maurer, Karl von Abel, Generalmajor Carl Wilhelm von Heideck. Zusätzlich kommen viele Deutsche, nicht nur Beamte und Hofpersonal, auch zahlreiche Akademiker und Handwerker, die alle Glück suchen, etwa Karl Fuchs, Gründer der Athener Brauerei FIX, Gustav Clauss, Gründer der Weinfirma Achaia Clauss und Architekt Ernst Ziller.
Die Regentschaft schafft die administrativen Grundlagen des modernen Griechenlands. Die griechische Gesetzgebung orientiert sich an deutschen Vorbildern, (selbst das bayerische Reinheitsgebot für Bier gilt in Griechenland!).
Bald aber beginnt Streit im Regentschaftsrat. 1834 Verlegung der königlichen Residenz nach Athen, das deutsche Architekten in klassizistischer Manier ausbauen. 1835 wird Otto I. mündig, 1841 bezieht er in Athen das von Friedrich von Gärtner erbaute Schloss, das heutige Parlamentsgebäude.



Ottos absolutistischer Begriff vom Königtum läßt ihn die Forderung nach einer Verfassung und Mitwirkung von Untertanen an der Regierung ablehnen. Armansperg wird Premierminister, im Kabinett haben Griechen keine Stimme – die Regierung besteht ausschließlich aus Bayern. Dieser quasi-koloniale Ansatz verursacht Spannungen im Volk, man verspottet die „Bavarokratie“. Das Land prägen kleinere Revolten, dem Militär kommt eine wichtige politische Rolle zu.
Otto, überzeugt römisch-katholisch, weigert sich zu konvertieren, folglich aus orthodoxer Sicht Ketzer, und der soll Oberhaupt dieser Kirche werden?! Dies und eine Politik, die darauf zielt, die Kirche möglichst staatskonform zu gestalten, sind weitere Unruhegründe. In der Kulturpolitik ist Otto erfolgreich: Zahlreichen Bauten entstehen, wie etwa die Nationale und


Kapodistrias-Universität Athen.

Das Bildungssystem geht auf deutsche Vorbilder zurück. Otto beherrscht die griechische Sprache bald fließend.

Außenpolitisch hat Otto einen schwachen Stand. Beim Kampf um den Einfluss im Mittelmeerbereich ist er mehr Spielball als Akteur. Als etwa 1841 Griechenland versucht, Kreta zu annektieren, blockiert Großbritannien den Hafen Piräus durch seine Flotte. Das wiederholt sich 1850, als Großbritannien mit diesem Druckmittel einen Streit um zwei Inseln zu seinen Gunsten entscheidet, es verleibt sie seinem Protektorat über die Ionischen Inseln ein.
Das Ganze wiederholt sich, als Griechenland im Krimkrieg 1853 der russischen Seite beitritt, es erwartet, von der erhofften osmanischen Beute zu profitieren. Piräus und Athen werden besetzt, die griechische Flotte beschlagnahmt. Dies desavouiert König Ottos Stellung.

1843 verlassen vertragsgemäß die letzten bayerischen Truppen Griechenland. Der König steht ohne verlässliche militärische Macht da. Sofort bricht ein Militärputsch in Athen aus, der sich zu einem ersten Volksaufstand gegen Otto ausweitet. Die Untertanen trotzen ihm Beteiligung an der Macht ab. Otto gesteht 1844 eine Verfassung zu. Der zweite große Aufstand bricht 1862 los, das Königspaar befindet sich auf Rundreise. Es muss - da die Garantiemächte ihre Unterstützung entziehen – sofort auf ein englisches Schiff, da selbst auf die Besatzung des königlichen Schiffs kein Verlass mehr ist.



Otto geht - unter Mitnahme der Kronjuwelen - mit Frau Gemahlin nach Franken: sie leben bis zu ihrem Tode (Otto 1867, Amalie 1875) in Bamberg in der fürstbischöflichen Residenz.



Was ist geblieben vom bayerischen Prinzen, der König wurde in Griechenland?

Jeden Tag halten Otto und Amalie als Erinnerung eine Griechischstunde ab, in der sie sich ausschließlich auf Griechisch unterhalten zwischn sechs und acht Uhr. Der aus 50 Personen bestehende Hofstaat ist in griechischer Tracht gekleidet.
Ein bayerischer Friedhof mit vielen Bematen in Athen, das mittlere Blau in den Farben der griechischen Flagge und viele viele Segler bajuvarischer



(manchmal fränkischer) Herkunft im veilchenblauen Meer des Odysseus ...
Die deutlichen Parallelen zur Übernahme des Ostens durch den Westen nach der Wende 1989: Wieder waren Bayern, diesmal in Sachsen führend ...
Aber das ist eine andere Geschichte ...

Und ein böser Vers von Heinrich Heine:

Herr Ludwig ist ein mutiger Held,
Wie Otto, das Kind, sein Söhnchen;
Der kriegte den Durchfall zu Athen,
Und hat dort besudelt sein Thrönchen.