|
Der drei Jahre ältere Bruder dieses Romanschriftstellers ist der sächsisch-polnische Kammerherr Joachim
Sigismund von Ziegler und Kliphausen.
1728 wird das schönste Schloss der Oberlausitz eingeweiht,
das der Kammerherr August des Starken an der
Einmündung der Wittig in die Lausitzer Neiße auf einer künstlich aufgeschütteten
Insel errichten lässt und wo er ein evangelisches Kloster beteibt.
Wasserschloss Kleinradmeritz wird abgetragen.
Im Siebenjährigen Krieg nehmen 1745 Preußenkönig Friedrich der Große,
in den Napoleonischen Kriegen die Lützower, Generalfeldmarschall Blücher und Prinz Wilhelm, im 2. Weltkrieg
die SS und bis 1945 Kinderlandverschickungen im Schloß Quartier.
2003 saniert ein Investor das ausgeplünderte Schloß.
Grufthaus für die Stiftsfräulein auf dem Kirchhof von Radmeritz, prächtigster adeliger Gruftbau der
Oberlausitz, im Jahr 2013.
Joachim Sigismund von Ziegler und Kliphausen ist im Grufthaus
am Chorscheitel der Dorfkriche bestattet.
Ziegler, geboren 1660, stirbt 1734 in Radmeritz. Er entstammt dem ursprünglich Meißnischen
Adelsgeschlecht Ziegler und Kliphausen und widmet sich fast ausschießlich einer regen Bautätigkeit im
Dorf Radmeritz, dessen Grundherr er ist und das er
durch eindrucksvolle barocke Bauwerke neu prägt, als da sind Kirche, Marstall, Forstmeisterei
und Mühle an der Wittig.
Nach einer Kavaliersreise durch Europa wird er beim sächsischen Kurfürsten Johann Georg IV.
Kammerjunker, bei August dem Starken Kammerherr, später Erster Kammerherr, bleibt ledig und kinderlos.
Sein wichtigstes Bauwerk ist das dreiflügelige Wasserschloss mit
Gartenhaus, Kavalierhaus und Gartenanlage im französischen Stil, für das
er selbst den Plan entwirft - mit dem Entwurf von Pöppelmann ist er nicht zufrieden. Er baut es dreigeschossig
auf H-förmigem Grundriss mit Mansardwalmdach auf einer rechteckigen Fläche,
umgibt es mit Wasserkanal und äußerem Damm.
Im Osten und Westen bilden Terassen an den Ecken Basteien aus, ergänzt durch Pavillons.
In das Weltadelige Fräuleinstift Joachimstein bringt der Kammerherr seinen gesamten Besitz ein.
Dort sollen laut Statut 12 ledige evangelische und mindestens seit vier Generationen
adlige Fräulein der Oberlausitz und angrenzender Gebiete Aufnahme finden, wenn sie ohne eigene Schuld
in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind. An der Spitze des Konvents steht die Stiftshofmeisterin
mit der Funktion einer Äbtissin.
Hintergrund ist die Erstarkung der bürgerlichen Kaufleute der Sechsstädte
[Der Oberlausitzer Sechsstädtebund aus den Städten Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban,
Löbau und Zittau besteht ab 1346, er dient dem Schutz des Landfriedens. Die Verbindung der Sechsstädte
entwickelt sich zu einer die Geschichte der Region über Jahrhunderte stark beeinflussenden Institution.
Die Blütezeit fällt in die ersten 200 Jahre. Görlitz und Zittau
gelangen in den Besitz landesherrlicher Gerichtsbarkeit, die ständestaatlicher Strukturen
intensivieren die Kommunikation. 1815 teilt der Wiener Kongress die Lausitz, Görlitz und Lauban fallen an Preußen,
der Sechsstädtebund, das am längsten bestehende deutsche Städtebündnis, endet nach fast 500 Jahren.]
und damit einhergehend die Verarmung der Adligen, die den Zug der Zeit verkennen.
Sinn und Zweck ist standesgemäße Versorgung, Erziehung und Bildung der Stiftsfräulein und
Vorbereitung auf ihre Rolle in einem landadligen Haushalt als Ehefrau und Mutter,
lebenslanger Aufenthalt im Stift ist aber möglich.
1728 ziehen die ersten Stiftfräulein ein, bis 1945 existiert die Einrichtung nahezu unverändert.
Das Stift überlebt die Zeiten.
In den Napoleonischen Kriegen schreibt Theodor Körner
,
der sich mit seinen Lützowern hier einrichtet,
den "Aufruf an die Sachsen":
Aufruf
Frisch auf, mein Volk! Die Flammenzeichen rauchen;
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht.
Du sollst den Stahl in Feindesherzen tauchen.
Frisch auf, mein Volk! - Die Flammenzeichen rauchen,
Die Saat ist reif; ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste Heil, das letzte, liegt im Schwerte.
Drück dir den Speer ins treue Herz hinein!
Der Freiheit eine Gasse! - Wasch die Erde,
Dein deutsches Land, mit deinem Blute rein!
Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen;
Es ist ein Kreuzzug; 's ist ein heil'ger Krieg.
Recht, Sitte, Tugend, Glauben und Gewissen
Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
Errette sie mit deiner Freiheit Sieg!
Das Winseln deiner Greise ruft: "Erwache!"
Der Hütte Schutt verflucht die Räuberbrut;
Die Schande deiner Töchter schreit um Rache,
Der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut.
Zerbrich die Pflugschar, laß den Meißel fallen,
Die Leier still, den Webstuhl ruhig stehn!
Verlasse deine Höfe, deine Hallen!
Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen,
Er will sein Volk in Waffenrüstung sehn.
Denn einen großen Altar sollst du bauen
In seiner Freiheit ew'gem Morgenrot;
Mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen!
Der Tempel gründe sich auf Heldentod!
Was weint ihr, Mädchen, warum klagt ihr, Weiber,
Für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,
Wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber
Hinwerfen in die Scharen eurer Räuber,
Daß euch des Kampfes kühne Wollust fehlt?
Ihr könnt ja froh zu Gottes Altar treten.
Für Wunden gab er zarte Sorgsamkeit,
Gab euch in euern herzlichen Gebeten
Den schönen, reinen Sieg der Frömmigkeit.
So betet, daß die alte Kraft erwache,
Daß wir dastehn, das alte Volk des Siegs!
Die Märtyrer der heil'gen deutschen Sache,
O, ruft sie an als Genien der Rache,
Als gute Engel des gerechten Kriegs!
Luise, schwebe segnend um den Gatten!
Geist unsers Ferdinand, voran dem Zug!
Und all ihr deutschen, freien Heldenschatten,
Mit uns, mit uns und unsrer Fahnen Flug!
Der Himmel hilft, die Hölle muß uns weichen.
Drauf, wackres Volk! Drauf! ruft die Freiheit, drauf.
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen.
Was kümmern dich die Hügel deiner Leichen?
Hoch pflanze da die Freiheitsfahne auf!
Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil'gem Siegerglanz:
Vergiß die treuen Toten nicht und schmücke
Auch unsre Urne mit dem Eichenkranz!
|
Bei der Teilung der Oberlausitz im Wiener Vertrag von 1815
wird die Wittig als Grenzfluss zwischen Sachsen und Preußen festgelegt.
Trotzdem verbleibt das diesseits des Flusses gelegene Schloss Joachimstein bei Sachsen,
während aller Grundbesitz des Stifts an Preußen kommt.
Darauf hat man im Wiener Kongreß geachtet.
Die Wittig als Grenze zwischen Sachsen und Preußen mündet 100 Meter nördlich bereits in die Neiße.
Nur die Wittig ist Flussrenze, danach verläuft die Grenze über Land in nordwestlicher Richtung, die
preußisch/sächsischen Grenzsteine sind in Abständen nach wie vor vorhanden.
Ab der Einmündung ist die Neiße in vollem Umfang ein preußischer Fluß, während sie vorher ein
sächsischer Fluss war.
Dem Stift droht die Auflösung.
König Friedrich August I. aber sichert den Weiterbestand des wohltätigen Stifts.
Die Oberlausitzer Konvention von 1819 wird zur Regulierung dieser besonderen Angelegenheit ausgesetzt.
In der Joachimsteiner Konvention von 1828 einigen sich Preußen und Sachsen, die Stiftung ausschließlich
der sächsischen Hoheit, die Besitztümer aber gemäß Grenzziehung von 1818
der jeweiligen Landeshoheit und Gerichtsbarkeit zu unterstellen und Genussrechte sowie Verwaltung der Stiftung
durch die Stände der sächsischen und preußischen Oberlausitz gemeinschaftlich regeln zu lassen.
Sozialräume für Weltadelige Fräuleins - gestern und heute
Im Sommer 1944 beginnt die SS im Wasserschloss Joachimstein mit streng geheimen Bauarbeiten,
legt in einem der drei großen Wirtschaftsgebäude einen gepanzerten Raum
mit extra verstärktem Fundament an; auch die Stadt Görlitz lagert wertvolle Bestände
der städtischen Archive und Kunstsammlungen in das Schloss aus.
Unter Aufsicht des
SS-Brigadeführers Walter Schellenberg,
Chef des Auslandsnachrichtendienstes im Reichssicherheitshauptamt -
was Stellenwert und Bedeutung der Aktion verdeutlicht, Schellenberg wird im Nürnberger Prozess
als Kriegsverbrecher verurteilt - lagert eine gut bewachte
Transportkolonne geheimste Archivalien aus ganz Europa im Schloss ein.
Nach dem Krieg sind die Geheimdokumente Aufklärungsziel der Sieger.
Die Rote Armee bringt die SS-Unterlagen von Radmeritz in die Sowjetunion.
Sie vermutet im Archiv Dokumente über die Kollaboration mit der Gestapo, Verräter aus der Sowjetunion,
Polen und Frankreich, Dossiers über dunkle Machenschaften mit dem 3. Reich in ganz Europa.
Kurz zuvor verfolgt ein polnisches Kommando unter
Piotr Jaroszewicz, Oberbefehlshaber der in der SU aufgestellten 1. Polnischen Armee
(nach Kriegsausbruch flüchtet er vor den Deutschen
in die Sowjetunion, 1944 marschiert er wieder in Polen ein, 1945 wird er stv. Verteidigungsminister
der provisorischen polnischen Regierung) das Gerücht, die SS habe im Stift Joachimstein
wichtige Geheimdokumente versteckt.
Im Kommando
sind vertraute Weggefährten:
Tadeusz Steć, des Deutschen
in Wort und Schrift bestens mächtig, und General
Jerzy Fonkowicz, beide im Sowjetischen Geheimdienst NKWD.
Steć erinnert sich in einem Interview mit der Zeitschrift "Wprost":
"Mit dem späteren Premierminister der Volksrepublik Polen Piotr Jaroszewicz blieb ich drei Tage in Radmeritz.
Ich habe die ganze Zeit übersetzt. Jaroszewicz sichtete unzählige Dokumente und wählte einzelne Aktenbündel aus,
die er zu mehreren handfesten Paketen verpackte. Ich stand gerade mit ein paar Leuten vor der Tür,
wir machten eine kleine Pause, da stürmte plötzlich eine Gruppe Sowjetsoldaten mit schussbereiten
Kalaschnikows in den Schlosshof. Wir wurden mit erhobenen Händen an die Wand gestellt.
Vom Lärm alarmiert kam Jaroszewicz sofort heraus und debattierte lebhaft mit dem Befehlshaber der Rotarmisten,
einem jungen Leutnant. Unser Kommando, das in Zivilkleidung war, wurde anschließend von den Soldaten
mit Fußtritten zur Dorfstraße getrieben. Man riet uns eindringlich alles zu vergessen, was wir im Schloss gehört
und gesehen haben. Jaroszewicz' brisante Pakete verblieben unbemerkt in seinem Fahrzeug."
Die drei Akteure machen nach dem Krieg in der Volksrepublik Polen Karriere, ihr Leben endet gewaltsam
unter mysteriösen Umständen.
Jaroszewicz, Jahrgang 1909, 1952 bis 1970 stellvertretender und bis 1980 Ministerpräsident,
dann interniert, 1984 vor dem Staatsgerichtshof angeklagt. Titel seiner Memoiren: "Ich breche mein Schweigen".
1992 wird Jaroszewicz über Stunden gefoltert, die Täter sind lange Zeit in seiner Villa und durchwühlen
das Arbeitszimmer, sie nageln die linke Hand ihres Opfers auf die Armlehne seines Sessels und die Füße am Boden fest,
garottieren den 82jährigen langsam mit einem Halsband, in das sie hinten
ein Beil eindrehen; Jaroszewicz' Ehefrau Alice Solska töten sie mit einem Genickschuss aus der Waffe ihres Mannes.
Die mutmaßlichen vier Täter werden im Jahr 2000 freigesprochen.
Tadeusz Casimir Steć, Jahrgang 1925,
lebt und arbeitet ab 1946 in Hirschberg, poln. Jelenia Góra, bis
1971 Vorsitzender des Touring und Monument Protection Department PTTK.
1993 wird Steć in seinem Haus mit einem Hammer erschlagen, seine einzigartigen Sammlungen von
Kunst, Münzen und Antiquitäten bleiben unberührt.
Fonkowicz, Jahrgang 1922 und jüdischer Herkunft, bis 1967 Militär-Attaché in Finnland, 1968
im Zuge der antisemitischen "Säuberungen" aus aktivem Militärdienst ausgeschieden, von Jaruzelski kalt gestellt,
wird 1997 von etwa 10 unbekannten Tätern brutalst zu Tode gefoltert.
Die Ermittlungsbehörden schließen bei allen drei Morden Habgier aus, Antiquitäten, Schmuck
oder Bargeld werden bei keinem der Opfer entwendet.
Andere Motive? Unter den SS-Dokumenten in Radmeritz sollen brisante Dossiers enthalten sein, etwa
über
General Wojciech Jaruzelski und Czeslaw Kiszczak,
zuletzt Chef des militärischen Geheimdienstes von Polen.
Nach der Wende 1989 führt Polen 2001 das "AFIS" (Automatic Fingerprint Identifikation System)
ein. Als die Polizei 2005 im Mordfall Jaroszewicz die 1992 am Tatort aufgefundenen
Fingerabdrücke vergleicht, stellt sie fest, dass die damals gesicherten Spuren nicht archiviert sind, Gründe unbekannt.
Die Todesfälle sind bis heute ebenso unaufgeklärt wie Inhalt und Umfang des SS-Geheimarchivs von Joachimstein.
|
|