Heinrich Toppler - König von Rothenburg

Im Westchor der Stadtpfarrkirche Sankt Jakobi zu Rothenburg ob der Tauber bestaunt alle Welt das warm leuchtende Lindenholzschnitzwerk des Tilman Riemenschneider. Im Hintergrund auf Jesu Schoß ruht Johannes, verdeckt vom Verräter in der Mitte, der den Judaslohn schon im Beutel trägt.



Im Verlauf der biblischen Henkersmahlzeit nimmt Jesus das Brot und sagt: Wem ich den Bissen gebe, der wird mich verraten. Jeder der vor Schreck starren Jünger fragt, ob er es denn sei. Jesus aber reicht den Bissen Judas Ischariot. So nimmt der Justizmord vom Garten Getsemane auf dem rechten Flügel über den Einzug in Jerusalem linkerhand seinen Lauf, das Kreuz ist seitdem allgegenwärtiges Zeichen der abendländischen Religionen.
Der gotische Grabstein eines anderen Verratenen oder Verräters in der Wandnische der südöstlichen Seitenkapelle bezeugt einen weiteren Kriminalfall.

hic iacet sepultus

honestus vir heniricus toppler civis qui

obiit anno domi 14...

... cilia corpus christi ala requiescat in pace

Verdurstet, geköpft, erwürgt, verhungert, erdrosselt, vergiftet, entmündigt?

Ein jeder der nicht wenigen Romane vom Leben des ehrbaren Bürgers, der sich zum König aufschwingt, findet ein passendenes Ende. In den voher und nachher so sorgsam geführten städtischen Protokollen klafft auffällig die Lücke, beliebig von des Schreibers Phantasie zu schließen. 1388 hat der Verstorbene im Tal ein befestigtes Schlösschen errichtet.



Heinrich Toppler ist der wohl mächtigste und reichste Bürgerliche seiner Zeit.
Feldhauptmann der Städte Ulm, Nördlingen und Dinkelsbühl, Mitglied des Inneren Rats, Bürgermeister.
Im selbst erstellten Salbuch sind 327 landwirtschaftliche Anwesen in 117 Ortschaften, darunter Hofgüter, Schafhöfe, Mühlen, Waldstücke, Weiher, Weinberge verzeichnet, nicht aufgeführt ungezählte Mietshäuser.

Visionär und Städteplaner, Finanzexperte und Wirtschaftsfachmann, Diplomat und Militärstratege, Kirchenstifter, Großgrundbesitzer und Pferdezüchter das Prädikat der einen Seite, skrupelloser Emporkömmling, leichtfertiger Vabanquespieler, Lehrstück, wie man an der eigenen Macht zugrunde gehen kann, das andere Bild Topplers.

Paul Schreckenbach in seinem vielgelesenen Königsbuch malt ein positives Bild und beschert ihm humanes Sterben im Kreis der Familie, offizielle Beerdigungs-Zeremonien:
Friedrich selbst schritt der Bahre voran, und alles Volk folgte nach. Unter dem Geläute sämtlicher Glocken wurde die Bahre dicht vor dem Hochaltare aufgestellt, den der Verstorbene einst selbst gestiftet hatte. Heinrich Topler lag da, die Hände auf der Brust über seinem gewaltigen Schwert gefaltet, einen Zug des Friedens im Antlitz tragend, den man an dem Lebenden niemals geschaut hatte. Nur ein schlichtes Totenhemd umschloss seine Glieder. Aber durch die hohen Fenster brach feurig die Abendglut herein, und jeden, der ihn liegen sah, wollte es bedünken, als breite der Himmel selbst einen Purpurmantel aus über den Schlummernden, - den toten König von Rothenburg.



Unter Historikern besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Toppler im Kerker verdurstet oder verhungert ist, Tod durch Köpfen sei nicht auszuschließen.

"Der König von Rothenburg" steht in der Tradition national-historischer Romane, pflegt preußisch-konservatives Gedankengut.
Toppler strebt in seiner freien Reichsstadt, wo die alten Geschlechter aufstrebenden Kaufleuten und Handwerkern die Machtteilhabe verweigern, nicht etwa Demokratisierung an, sondern ist nach dem Vorbild Bismarcks vernuftgesteuerter Machiavellist:
Die Macht, die ihm seine Stadt übertragen hatte, wollte und musste er von nun an festhalten um jeden Preis, und das bedeutete nichts anderes, als dass er seine Feinde aus der Stadt vertreiben und schließlich aus dem Gewählten des Volkes zu einem Herren des Volkes werden musste. (S. 119)

Toppler braucht das Volk, um sich plebiszitär zum Diktator wählen zu lassen. Als besondere Klugheit der Rothenburger wird hervorgehoben, sich - wie die Römer in Krisenzeiten - einen Diktator gekürt zu haben, das Volk wird als Hammelherde, die dahin rennt, wohin die Leithammel rennen (S. 270) charakterisiert.



Zur berüchtigten "Sportpalastrede" hat das folgende Zitat peinliche Ähnlichkeit:

"Gebet ihr also unsere Burgen dahin mit freiem Willen, so habt ihr guten Frieden und könnt geruhsam hinter dem Ofen hocken fortan. Und ich frage Euch, liebe Gesellen: Wollet ihr das?"
"Nein, nein!" schrie und brüllte es von allen Seiten.
"Dann habet Ihr Krieg und Fehde. Wollet Ihr sie als männliche Bürger durchfechten bis zum Ende?"
"Ja, ja! Heil Heinz Topler! Nieder mit dem Burggrafen und dem Würzburger Pfaffen! Krieg! Krieg!" wogte es durcheinander.
(S. 105)



Das unmündige Volk muss zu seinem Besten manipuliert werden. Topplers Tatkraft wehrt den Angriff auf die Stadt ab, seine Gegener benützen das Volk, ihn zu stürzen. Kurzsichtig lassen sich Zunftmeister bestechen und verraten ihren großen Meister. Mit seinem Ende beginnt Rothenburgs Niedergang. Schreckenbach liebt Obrigkeit und große Männer. Wenn er den Nürnberger Burggrafen als geborenen Fürsten bezeichnet und zum ebenbürtigen, ja überlegenen Gegner Topplers hochstilisiert, hofiert er das preußische Herrscherhaus. Topplers Sohn ist Anhänger des Jan Hus, Toppler stellt fest, dass das dumme, schmutzige, viehische Volk der Czechen zu Reformationen nicht imstande sei: dies Werk muss von Deutschen getan werden, und es wird getan (S. 41). Das Buch ist 1910 erschienen, als dort schon Unabhängigkeitsbestrebungen erwachen!



Die Topplers, ursprünglich Bauern, komen um 1300 nach Rothenburg. Heinrich wird um 1345 im Haus "Zum Güldenen Greif" geboren, heiratet in zweiter Ehe Barbara Wernitzer, die reichste Erbin der Stadt. Seine dritte Frau ist Bürgermeisterstochter aus Nördlingen. Seine eigenen Kinder heiraten in die Hallers und Waldstromers, Nürnberger Patriziat und in die Reichsstadt Dinkelsbühl ein. So knüpft ein ehrgeiziger Aufsteiger Beziehungen. Er handelt mit Getreide, Holz, Wolle, Wein und Pferden. Immer wieder wählt man Toppler zum Bürgermeister. Er reitet als Feldhauptmann und Diplomat der verbündeten Reichsstädte, er unterhält eigene "Kundmänner", eine Art von Geheimagenten und eine Schar, die man heute als Privatarmee charakterisieren würde.



Toppler erwirbt systematsich Land für die Reichsstadt, kauft Burg um Burg, Mühle um Mühle, Wald um Wald und Dorf um Dorf dem verarmten Landadel ab. Häufig vermischen sich bei solchen Geschäften Privatmittel Topplers mit städtischem Geld. Toppler siedelt Juden an, ihnen allein ist erlaubt, ein Kreditgewerbe auszuüben. Ihr Zuzug stärkt das Gemeinwesen. 1388 erbringen acht jüdische Familien ein Zehntel des Steuerhaushalts. Toppler verbessert die Stadtbefestigung. Wehrtürme gibt es nun zwanzig, er lässt Gräben zum Fluten und für frei laufende bissige Hunde bauen.

[Die Rothenburger Landhege, gelegentlich auch Landhecke genannt, eine sechzig Kilometer lange Grenzsicherung (nicht zu verwechseln mit der Landwehr - sie bezeichnet das von der Landhege umschlossene Territorium) bestand aus drei parallelen Erdwällen, die zwei breite Gräben säumten, auf der Mitte ein Reitweg, Wälle und Böschungen dicht mit verflochtenen Hecken bestanden. Im Gelände, wenn auch abgeflacht, zeichnet sich die Sicherungslinie noch ab.
Die Landhege entstand erst nach Topplers Zeit, etwa 1420 bis 1480.]



Zwei feindliche Konkurrenten hat Rothenburg, die ein begehrliches Auge auf die starke und Freie Reichsstadt haben: den Fürstbischof von Würzburg und den Burggrafen von Nürnberg. In den verworrenen Bündnissen und Kriegen taktiert Toppler geschickt, kann den Status Rothenburgs retten.



Dann spürt Toppler Widerstände, ahnt Gefahren, will sich zurückziehen, beginnt sein Vermögen zu mobilisieren. König Wenzel in Prag hat es zu sehr mit den Städten gehalten, ist von den Fürsten abgesetzt. Der Pfälzer Ruprecht, Nachfolger, Schwager des Burggrafen von Nürnberg, Friedrich von Zollern, wird von diesem beeinflusst. Das weitgehend von Toppler geschaffene reichsstädtische Territorium, steht der zollernschen Expansionspolitik sperrig entgegen. Der Burggraf will Krieg.



Und als es für Rothenburg brenzlig wird, beruft die Stadt Toppler 1406 überraschend noch einmal zum Bürgermeister. Der lässt sich konspirativ mit Wenzel in Prag ein, Briefe fallen in die Hände seiner Gegner, 1407 wird Rothenburg in die Reichsacht erklärt. Das Kesseltreiben der Adeligen gegen die verhasste Reichsstadt beginnt.

Rothenburg kann sich militärisch behaupten, die Bauern finden samt einem Großteil ihres Viehs Zuflucht in der Stadt, die Landwehr aber ist verwüstet. 1408 wird Friede geschlossen, das Reichsstadt-Territorium bleibt ungeschmälert, nur Rothenburgs Burgen werden geschleift.



Und plötzlich wird Toppler mitten in einer Ratssitzung verhaftet, in den Stadtkerker geworfen. Er habe die Stadt bestohlen, lautet ein Vorwurf, als er Frau und Kinder mit großen Mengen Geldes und Wertgegenständen nach Nürnberg bringt, ohne die fällige Nachsteuer zu entrichten, wichtigstes Mittel gegen die Steuerflucht durch Wegzug. Gewalt- und Willkürakte werden ihm angelastet, ein Femegericht im Privathause Toppler gegen einen Stadtschreiber wegen Bestechlichkeit und Verrates habe mit der Tötung des Delinquenten geendet. Der massivste Verdacht: Konspiration mit auswärtigen Mächten.

Der Rat will Toppler offensichtlich Ruprecht und Friedrich opfern, den unliebsamen Außenseiter los sein. Das Datum des Todestages auf dem Stein in St. Jakob ist schwer zu entziffern. Anklage wurde offiziell nie erhoben.
Das eingezogene Vermögen Topplers teilen sich Rothenburg, der deutsche König und Topplers Verwandte zu je einem Drittel. Der älteste Sohn und der Vetter werden begnadigt.



Und die Sage erzählt:
Im trunkenen Mut hätten Burggraf Friedrich von Nürnberg und Heinrich Toppler um die Stadt Rothenburg gewürfelt, wer künftig ihr Herr sein sollte; Toppler warf elf Augen, aber der Burggraf zwölf. Denn auf Topplers Wappen finden sich zwei Würfel mit 5 und 6 Augen, und toppeln heißt altdeutsch würfeln.
Als nun Toppler einstmals mit zwei anderen Ratsmännern nach Ansbach gesandt wurde, rief die Ratsglocke plötzlich den Rat zusammen, die Partei seiner Feinde soll hervorgetreten sein. Toppler, unter einem Vorwand zurückgerufen, wurde befragt, was einem Verräter der Stadt gebühre.



»Hungers zu sterben«, habe er unbesorgt und unverzüglich erwidert. Da ließ ihm der Rat sein eigenes Urteil verkünden und ihn in das geheime Staatsgefängnis unter dem Archiv werfen. Dort lag er manchen Tag, bis er verschmachtete. Andere behaupteten, er sei an Gift gestorben. Sein bekümmertes Weib – setzt die Sage noch hinzu – versuchte von den Kellern ihres Hauses aus einen unterirdischen Gang bis zum Gefängnis ihres Eheherrn treiben zu lassen, kam aber zu spät.
Toppler soll in der Kirche begraben sein, wo ein Altar seinen Namen führt. Im Jahre 1839 fand man bei einer Wiederherstellung der Steinplatten auf dem Boden des Chors unter dem größten, schwer beweglichen Stein das gut erhaltene Gerippe eines langgewachsenen Mannes, mit dem Schädel daneben, dicht unter der Fläche des Steins, ohne Sarg und Zubehör, leicht in die Erde verscharrt.
Der Grabstein mit dem Wappen ist wohl erst später gesetzt, als Kaiser Ruprecht über das Verfahren des Rats ein strenges Urteil fällt.



1908 wird ein Gedenkstein im Burggarten enthüllt



Und:
Heinrich Toppler führt die Besucher durch sein wunderschönes Städtchen. Mit Stolz kündet er von Sehenswertem, erzählt die Geschichte auf dem i-Guide PDA im Westentaschenformat aus seiner Sicht und gibt mit einer Vielzahl von Bildern das Erlebnis einer Stadtführung.



Und:
Im Gedenken an seinen schillerndsten Bürgermeister installiert die Stadt 2008, dem 600. Todestag von Heinrich Toppler, ein Toppler-Theater mit zeitgemäßen modernen Stücken. Im Ambiente des Reichsstadtmuseums beginnt man mit Toppler selbst, als mittelalterlichem Kriminalfall ...



Vom Verrat und Ende Christi erzählt Riemenchneiders Flügelaltar, seine Geburt ist Weihnachten.

1945 zerstören amerikanische Bomber halb Rothenburg.




1956 flüchtet ein sächsisches Ehepaar aus der DDR, im Gepäck eine Weihnachtsspieldose, deren Melodie 1963 einen US-Offizier in Verzücken versetzt. Der Mann geht in amerikanischen Kasernen von Tür zu Tür, macht auf Wohltätigkeitsbasaren von Offiziersfrauen Geschäfte mit Erzgebirgskunst, die Frau gibt ihren Namen der Firma in Rothenburg. Ganzjähriges Weihnachtssortiment samt -dorf lockt Käufer aus aller Welt - vor allem Japaner!