Seumes Spaziergang nach Syrakus - Teil 3
Luftlinie: 33km
Von Laibach [Ljubiljana] aus geht es nun allmählich immer aufwärts, und man hat die hohe Bergspitze des Loibels [Ljubelj]
rechts hinter sich. Bei Oberlaibach [Vrhnika], einem ziemlich kleinen Städtchen, kommt die Laibach [Ljubljanica]
aus den Bergen, und trägt gleich einige hundert Schritte von dem Orte des Ausgangs Fahrzeuge von sechszig Zentnern.
Von hier geht es immer höher bis nach
Loitsch [Logatec] und so fort bis nach Planina, das, wie der Name zeigt, in einer kleinen Ebene ziemlich tief zwischen den rund umher emporsteigenden Bergen liegt. Der Weg von Laibach bis Oberlaibach hat noch ziemlich viel Kultur; aber von da wird er wild und rauh, und man trifft außer den Stationen bis nach Adelsberg [Postojna] wenig Häuser an. Hier in Planina hatte das Wasser wieder Unfug angerichtet. Es dringt überall aus den Bergen hervor, und hat das ganze, schöne Tal zu einer außerordentlichen Höhe überschwemmt, so daß die Eichen desselben bis an die Äste im Wasser stehen. Dieses war noch nicht ganz fest gefroren, und man setzte auf mehrern Fahrzeugen beständig über nach Planina. Der Fall ist nicht selten in dieser Jahrszeit; aber dieses Mal war die Flut außerordentlich hoch. Die Hälfte von Planina auf der andern Seite des Tals stand unter Wasser.
Von Planina aus windet sich der Weg in einer langen Schneckenlinie den großen Berg hinan.
Seume findet einen Krainer, der ihn nach langem Suchen zu den Höhlen von Panina (im Schnee) hinführt.
Hier sitze ich nun in Prewald [Predole], einer sehr hohen Bergspitze gegenüber und zittere vor Frost, bis man mein Zimmer heizt. (?)
Er wohnt bei drei drolligen Mädchen, abends trifft er einen katholischen Feldprediger aus Triest.
Die Höhle zu Lueg [Predjamski Grad], von der ihm sein Wirt in Adlesberg [Postojna] erzählt, sieht Seume nicht.
23. Janaur 1802: Seume in Triest
Frühstück bekommt Seume bei den drei Mädchen keines, in Sessana [Sežna] macht ihm das erste Wirtshaus gar keine gute Miene,
er findet keine anderes. Es ist so warm, dass überall die Türen offen stehen.
Triest, so schreibt Seume, fängt an, ein Amphitheater am Meerbusen zu bilden. Die Berge sind zu hoch und zu kahl, um angenehm zu sein; und zu Lande ist Triest von aller angenehmen Verbindung abgeschnitten. Desto leichter geht alles zu Wasser, wenn der Hafen auch ziemlich flach ist und alle Kriegsschiffe auf Reede bleiben.
Seume wohnt in dem Gasthaus, wo Winckelmann ermordet wurde.
Vom Schauspielhaus ist er begeistert, nur die Unaufmerksamkeit und schwätzenden Zuschauer empfindet er als störend.
vorgestern
Johann Joachim Winckelmann (1717 bis 1768)
Bibliothekar, Antiquar und Kunstschriftsteller der frühen Aufklärung, Begründer der wissenschaftlichen Archäologie und Kunstgeschichte, geistiger Vater des Klassizismus, reist 1768 mit Bartolomeo Cavaceppi, einem Bildhauer von Rom nach Deutschland. Unterwegs überwältigt ihn ein melancholischer Anfall, er bricht die Reise ab. Auf dem Rückweg machte er in Triest im Hotel Locanda Grande Station, lernt dort Francesco Arcangeli kennen, sie treffen sich wiederholt,
Winckelmann zeigte ihm Gold- und Silbermünzen. Arcangeli versucht Winckelmann zu erdrosseln, sticht mit einem Messer auf ihn ein, bei der Gegenwehr verletzt sich Winckelmann beide Hände. Fünf der sieben Stiche sind tödlich, er stirbt sechs Stunden nach
dem Anschlag, kann vorher aber noch genaue Angaben zum Geschehenen machen.
Der vorbestrafte Arcangeli gesteht, aus Habgier gehandelt zu haben: Er wollte sich die beträchtliche Reisebörse Winckelmanns zueignen;
ob erotische Hintergründe im Spiel sind, kann nie zweifelsfrei geklärt worden, Arcangeli
wird zum Tod durch Rädern verurteilt.
Nach einer anderen Version soll Winckelmann bereits vorher in Wien gestorben sein, ein Unbekannter soll ihn bestohlen und seine Identität angenommen haben.
gestern
Paul Gompitz ist ebenfalls in Triest gelandet.
In Triest gefällt ihm alles, die Lage, die Sehenswürdigkeiten, das Meer, die freundlichen Leute, und es ist nicht nur der Stolz,
dieses Ziel erreicht zu haben, der ihm das Bild vergoldet. Schon nach einem Tag fühlt er, dass Italien ihn verwandelt, ja, daß er ein anderer Mensch zu werden beginnt. Er ist plötzlich kein DDR-Bürger mehr, kein Mitteldeutscher, kein Ostdeutscher, kein Zoni, kein Sachse. Er ist, was er nie gewesen ist, ein Tedesco, ein Deutscher, ganz einfach.
Auf dem Aussichtsberg erschließt sich ein Panorama bis weit nach Venetien hinein, bei Vicenza die Gipfel der Alpen, davor die weite, schwingende Ebene. Die Marmorbrüche Istriens sind zu erkennen, nur Venedig bleibt hinter dem Horizont. Beim Rückweg von den Bergen hinunter wachsen ihm die Weintrauben entgegen, er bedient sich da und dort, bis er die Villen oberhalb der Stadt erreicht, wo diese Früchte, Inbegriff des Luxus für einen Rostocker, sogar in den Vorgärten und auf Spalieren wachsen.
Am Morgen wird den Hotelgästen eine kostenlose Stadtrundfahrt geboten. Als er den Fremdenführer nach dem Haus fragt, in dem Winckelmann ermordet wurde, weicht dieser ihm nicht mehr von der Seite, erklärt, daß dies Haus schon um 1900 abgerissen wurde, und gibt all sein Wissen über die Habsburger und Venedig, über Schlösser und Kriege an den dankbaren, bildungshungrigen Deutschen weiter. Gefragt, wo er herkomme, kann Paul erzählen, daß er über die Ostsee geflohen ist, um Italien zu sehen.
heute
Triest, ital. Trieste, slow. Trst, direkt an der Grenze zu Slowenien, hat 200.000 Einwohner mit großen Minderheiten, aber alle sprechen Triestinisch. Triest ist Hauptstadt der autonomen Region Friaul-Julisch Venetien und der Provinz Triest,
wieder, wie vor 1918, Tor zu Österreich, Slowenien und Kroatien, einer der größten italienischen Häfen und wichtigster Handelshafen für Österreich, Südbayern, Tschechien und die Slowakei.
Das wichtigste Ölterminal im Mittelmeerraum pumpt ährlich 35 Mill. Tonnen Rohöl über die Alpen nach Schwechat und Ingolstadt (und Tschechien). Noch immer führt der günstigste und kürzeste Seeweg vom Mittleren und Fernen Osten nach Europa über den Sueskanal durch das Mittelmeer, die Adria hinauf nach Triest.
Konkurrenz erwächst aus Koper und Rijeka.
Die Stadt ist Heimat bedeutsamer Schreiber: Italo Svevo, Scipio Slataper, Umberto Saba, Claudio Magris und Susanna Tamaro, Boris Pahor und Alojz Rebula, in der Stadt lebten und schrieben u . a. James Joyce, Theodor Däubler.
Luftlinie: 35km
Die Leute in Triest halten Seume für verückt, dass er zu Fuß über die Berge nach Venedig will, das sei viel zu gefährlich.
Aber er lässt sich nicht beirren und schlägt sich nach Görz [Gorizia] durch.
Luftlinie: 33km
Dann wandert er weiter über Gradiska [Gradisca d'Isonzo] und
Palma Nuova [Palmanova].
Der Ort, bemerkt Seume, ist militärisch nicht ganz zu verachten, wenn er gut verteidigt wird. Man kann nach allen Seiten vortrefflich rasieren, und er kann von keiner nahen Anhöhe bestrichen werden.
vorgestern
Palmanova, als Idealstadttypus mit radialem Straßennetz geplant und umgesetzt:
Auf den breiten regelmäßigen Straßen gelangen die Soldaten aus dem Zentrum (Exerzierplatz) auf schnellstem Wege zu den Verteidigungsanlagen. Im Zentrum wohnen die befehlshabenden Offiziere, ringsherum die Liniensoldaten und entlang der Befestigung die Söldner.
Die Festung dient der Verteidigung gegen die Habsburger, die das benachbarte Friaul und Görz beherrschten. Palma Nuova erfüllt
die Aufgabe über 200 Jahre, ehe sie Napoleon erobert, der Venetien im Frieden von Campo Formio 1797 Österreich überlässt (es dann 1806 –
1814 seinem Königreich Italien eingliedert und später endgültig den Österreichern abtreten muss.)
Im 1. Weltkrieg ist Palmanova wichtiger Stützpunkt der Italiener im Hinterland der Isonzo-Front.
29. Januar 1802: Udine, Geburtstag
Im Dunkeln läuft Seume an Campo Formio [Campoformido] vorbei, die Kirchenglocken von Udine weisen ihm den Weg, er versucht, weil ihm die Gasthäuser nicht zusagen, in österreichischen Wachstuben Quartier zu finden - vergeblich.
Irgendwie kommt er unter, ohne Frühstück, und wandert weiter.
Luftlinie: 33km
In Codroipo isst er sich an Polenta, Eierkuchen und zweierlei Fisch aus dem Tagliamento, gesotten und gebraten, satt.
Vor Valvasone trägt ihn ein hochgestiefelter Fährmann auf seinen Schultern in vier Stationen über den Tagliamento:
Das Flußbett ist über eine Viertelstunde breit.
In Pordenone fastet Seume wieder bei jämmerlichen Fischen, ein Mädchen füttert ihn mitlieidig mit Kastanien.
Oft wird er - wegen seiner franzöischen Brocken - für einen Franzosen gehalten: Signore è Francese, ma non volete dirlo; Fate bene, fate bene
Luftlinie: 81 km
Weiter geht es über Conegliano nach Treviso - Seume hat sich die Ferse blutig getreten - und gibt den Zudringlichkeiten eines
Vetturino (Kutscher) nach, der ihn für sechs Lire nach Mestre bringen soll, um den folgenden Morgen zeitig nach Venedig überzusetzen. In Mestre findet er noch am Abend eine Schar von Venezianern, mit denen er den Kanal hinunterrudert. Bei der Passkontrolle staunen die Einheimischen, als sie hören, dass er zu Fuße allein einen Spaziergang von Leipzig nach Syrakus macht.
3. Februar 1802: Ankunft in Venedig
Vom Rialto begleitet ihn ein junger Mann durch eine große Menge enger Gäßchen in den Gasthof The Queen of England, wo kein Zimmer frei ist und weiter zum goldnen Stern, nicht weit vom Markusplatz, wo er ein ziemlich gutes Quartier und artige Bewirtung findet.
gestern
Delius über die Lagunenstadt:
- Jetzt Venedig?
- Er (Paul Gopmitz) wird begeistert und betrogen und besänftigt wie jeder Tourist.
Seume läuft mit einem alten, abgedankten Bootsmann, der von Lissabon bis Konstantinopel und auf der afrikanischen Seite die ganze Küste kennt und jetzt
den Lohnbediensteten machen muss, in der Stadt herum, sieht mehr als 20 Kirchen in einigen Stunden, von der Kathedrale des heiligen Markus herab bis auf das kleinste Kapellchen der ehemaligen Beherrscherin des Adria. Die Partie des Rialto befriedigt seine Erwartung nicht, der Markusplatz übetrifft sie.
Wenn man einige Mal den großen Kanal auf und ab gefahren ist, hat Venedig vielleicht auch nicht viel Merkwürdiges mehr; man müßte denn gern Kirchen besuchen, die hier wirklich sehr schön sind.
Das Traurigste ist in Venedig die Armut und Bettelei. Man kann nicht zehn Schritte gehen, ohne in den schneidendsten Ausdrücken um Mitleid angefleht zu werden; und der Anblick des Elends unterstützt das Notgeschrei des Jammers. Um alles in der Welt möchte ich jetzt nicht Beherrscher von Venedig sein; ich würde unter der Last meiner Gefühle erliegen.
Auf dem Markusplatz kann sich Seume zweier leichter Mädchen nur erwehren, indem er auf Russisch flucht.
Am meisten aber begeistert ihn
Canovas Hebe.
Ich will, ich darf keine Beschreibung wagen; aber ich möchte weissagen, daß sie die Angebetete der Künstler und ihre Wallfahrt werden wird. Noch habe ich die Mediceerin nicht gesehen; aber nach allen guten Abgüssen von ihr zu urteilen, ist hier für mich mehr als alle veneres cupidinesque.
Er schreibt ein Gedicht auf Hebe, das zum Denkmal für den italienischen Bildhauer Antonio Canova (1757 - 1822), Hauptvertreter des italienischen Klassizismus, wird.
Diese einzige Viertelstunde hat mir meine Reise bezahlt; so ein sonderbar enthusiastischer Mensch bin ich nun zuweilen. Es ist die reinste Schönheit, die ich bis jetzt in der Natur und in der Kunst gesehen habe; und ich verzweifle selbst mit meinem Ideale höhersteigen zu können. Ich muß Canovas Hände küssen, wenn ich nach Rom komme, wo er, wie ich höre, jetzt lebt.
In dem nämlichen Hause steht auch noch ein schöner Gipsabguß von des Künstlers Psyche. Sie ist auch ein schönes Werk; aber meine Seele ist zu voll von Hebe.
Und die Wände zieren Reliefs, u. a.
Tod des Sokrates.
Luftlinie: 35km
Nach 9 Tagen fährt Seume weiter, mit der Kutsche von Venedig nach Padua, von abends acht Uhr bis zum Mittag des nächstens Tags, bei stürmischem Wetter und fürchterlich zugerichteten Straßen.
Er besucht die Basilika des heiligen Antonius.
Livius sucht Seume vergeblich in Padua, seiner Geburtsstadt, und außerdem will er noch am Abend weiter nach Battaglia patroullieren, obwohl Livius Seumes Lieblingslektüre in der Schule war.
Abschiedsgruß auf Lateinisch eines Paduaners, den er nach Livius gefragt hatte:
Gratias tibi habemus pro tua in nostrum popularem observantia. Eris nobis cum multis aliis testimonio, quantopere noster Livius apud exteros merito colatur. Valeas, nostrumque civem ames ac nobis faveas.
Luftlinie: 70km
Über die Etsch (Adige), Rovigo, Monteselice, auf dem Po bis Ponte di Lagoscuro [Pontelagoscuro] und weiter nach
Ferrara.
Dort fehlt Seume eine Kleinigkeit: Menschen. Französische Soldaten sah man überall genug, aber Einwohner desto weniger.
Er besucht die Kathedrale und das Grab von Ariost.
Im Gasthofe fütterte man mich den Abend sehr gut mit Suppe, Rindfleisch, Wurst, Fritters, Kapaun, Obst, Weintrauben und Käse von Parma.
Das Wetter war fürchterlich.
Luftlinie: 44 km
Seume fährt mit der Kutsche weiter.
Einige Stunden von Ferrara aus ging es leidlich, dann sank aber der Wagen ein bis an die Achse.
Der Vetturino wollte Ochsenvorspannung nehmen; die billigen Bauern forderten aber für zwei Stunden nicht
mehr als achtundzwanzig Liren für zwei Ochsen, ungefähr sechs Gulden Reichsgeld. Der arme Teufel von
Fuhrmann jammerte mich, und ich riet ihm selbst, gar kein Gebot auf die unverschämte Forderung zu tun.
Die Gaule arbeiteten mit der furchtbarsten Anstrengung absatzweise eine halbe Stunde weiter; dann ging
es nicht mehr. Wir stiegen aus und arbeiteten uns zu Fuße durch, und es ward mit dem leeren Wagen immer
schlimmer. Erst fiel ein Pferd, und als sich dieses wieder erhoben hatte, das andere, und einige hundert
Schritte weiter fielen alle beide und wälzten sich ermattet in dem schlammigen, tonigen Boden. Da hatten wir
denn in Italien das ganze deutsche salzmannische menschliche Elend in concreto. Die Pferde halfen sich endlich
wieder auf, aber der Wagen saß fest.
Nun stelle Dir die ganz bekotete Personalität Deines Freundes vor, wie ich mit der ganzen Kraft meines
physischen Wesens meine Schulter unter die Hinterachse des Wagens setzte und heben und schieben half,
daß die Dame und der Kriegskommissär und der Vetturino erstaunten. Es ging, und nach drei Versuchen
machte ich den Fuhrmann wieder flott. Aber ans Einsetzen war nicht zu denken. Nun hatte ich das Amt,
die Dame und den Kommissar durch die engen, schweren Passagen zu bugsieren, und tat es mit solchem
Nachdruck und so geschicktem Gleichgewicht auf den schmalen Stegen und Verschlägen und an den Gräben,
daß ich ihnen von meiner Kraft und Gewandtheit eine gar große Meinung gab. Schon hatten wir uns,
als wir zu Fuße voraus über den italienischen Rhein [Reno], einen ziemlich ansehnlichen Fluß,
gesetzt hatten, in einem ganz artigen Wirtshause zu Malalbergho einquartiert und uns in die
Pantoffeln des Wirts geworfen, als unser Fuhrmann ankam und uns durchaus noch acht italienische
Meilen weiter bringen wollte. Ich hatte nichts dagegen, und die andern wurden überstimmt.
Von hier aus sollte nun der Weg besser sein. Wir schroteten uns also wieder in den Wagen und l
ießen uns weiterziehen. Jetzt trat eine andere Furcht ein; der Dame und dem Kriegskommissär,
drollig genug an Italienern, ward bange vor Gespenstern. Der Kriegskommissär schien überhaupt
mit seinem Mut nicht viel zur Befreiung seines Vaterlandes beigetragen zu haben. Mir ward
zwar auch etwas unheimisch, nicht aber vor Geistern, sondern vor Straßenräubern, für welche
diese Straße zwischen tiefen, breiten Kanälen ordentlich geeignet schien; indessen sammle
ich in dergleichen Fällen als ein guter Prädestinatianer meinen Mut und gehe getrost vorwärts.
Gegen Mitternacht kamen wir endlich glücklich auf unserer Station, einem isolierten, ziemlich
großen und guten Gasthof an, der, wenn ich nicht irre, Althee hieß und von dem ich Dir weiter nichts zu
sagen weiß, als daß man mir einen Wein gab, der dem Champagner ähnlich war und also meinen Beifall
hatte. Bei diesem Weine und der guten Mahlzeit vergaß der Kriegskommissär alle Mühseligkeiten des
Tages und des Abends, und schien ganz eigentlich in seinem rechten Elemente zu sein:
das ist ihm nun freilich nicht übelzunehmen; denn ich befand mich nach einer solchen
Fahrt dabei auch ganz behaglich.
Am anderen Mittag langen sie in Bolgona an.
Hier in Bologna fand ich überall eine exemplarische Unreinlichkeit, die an Schweinerei grenzt: und wenn man der häuslichen Nettigkeit der Italiener überhaupt kein großes Lob geben kann, so haben die Leute in Bologna den größten Schmutz aufzuweisen.
Der Hauptplatz mit der daran stoßenden Kathedrale, und dem Gemeinehause rechts und den großen schönen, Kaufmannshallen links, macht keine üble Wirkung. Der Neptun mitten auf demselben, von Jean de Bologna, hat als Statue wohl seine Verdienste.
Im kleinen Theater Da Ruffi besieht sich Seume ein Stück aus der alten französischen Geschichte, danach gibt es eine Tombola, was er nicht kannte. Den andern Morgen geht er zum Tore hinaus.
Luftlinie: 82 km
Seume marschiert weiter auf dem alten Emilischen Weg, bis Imola kommt er über fünf oder sechs Flüsse,
rechts von ihm der beschneite Apennin, in Imola kommt er zur Faschingsmaskerade.
Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mich hin
und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don Quixotte sehr gut als Helm hätte
brauchen können; und ein anderes Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem
Attribut der Klistierspritze Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb
Imola vor, als ich den Klistierspritzenkerl mit einer Schwenkung vollends umrannte,
meinen Knotenstock komisch nach ihm hinschwang und meine Personalität etwas aus dem
Gedränge zu Tage förderte.
Er bleibt im Gasthaus zur Hölle.
Über Faenza geht es weiter nach Forli, wo er im Hotel de Naples übernachtet
Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, um den Kamin her, machten einen traulichen, freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen allerliebsten Jungen, der wie ein Toast der Gesellschaft von den Knieen des Einen zu den Knien des Andern ging.
Zwischen Forli und Cesena, wo er wegen des entsetzlichen Wetters übernachtet, sieht Seume die Reste des alten Forum Pompilii [Forlimpopoli]
Ins Gasthaus kommt noch ein Schmuggler-Schiffskapitän, der ihm von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählt.
Luftlinie: 27 km
Vor Savignano [Sul Rubicone] gehen Seume und Cäsar über den Rubikon.
Das nimmt er zum Anlass, sich mit dem "liebenswürdigsten Schurken" auseinanderzusetzen. In Rimini schläft er gewiss ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Übergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag.
ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ.
Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohltaten; und hier in Italien ist es doppelt so.
Wenn ein Papst eine recht schöne wohltätige Wasserleitung bauet, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist.
Luftlinie: 27 km
Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge gehen sollen,
um die selige Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal, da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe,
wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Katholika [Cattolica] und Pesaro.
Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Koncilium zu Rimini den Meister gespielt: deswegen gingen die rechtgläubigen Bischöfe
mit Protest herüber nach Katholika und verewigten ihre mutige Flucht durch den Namen des Orts.
Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Katholika:
ich nehme mir aber selten die Mühe etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereien.
Luftlinie: 32 km
In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war,
den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? Bei mir, antwortete er. Sehr wohl! sagte ich,
und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespear zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu sein.
Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er tat sein Möglichstes
mich zufrieden zu stellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der
Fall, daß der Herr Wirt sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete und ich ihm hülfreiche Hand leistete.
Er klagte mir ganz leise, daß die gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mit weggenommen haben.
Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini
nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte.
Dieser mein Vetturino war nun ein echter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte,
sein Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht.
Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck
von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre
solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus und Vernichtung für das Konsequenteste halten:
denn solche Seelen können nicht fortleben.
Weiter über Fano nach Sinigaglia [Senigallia] ein angenehmer Ort durch seine Lage: vorzüglich geben die
üppig vegetierenden Gärten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen.
Seume sieht zum ersten Mal ein italienisches Stiergefecht, wo die Hunde ziemlich hochgeworfen wurden und ziemlich blutig wegkamen,
und woran halb Sinigaglien sich sehr zu ergötzen schien.
Luftlinie: 59 km
Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ankona, da ich einmal in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war.
19. Februar 1802
Die See ging hoch und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungem Weizen und Ölbäumen geschmückt.
An der alten Mole steht der Triumphbogen Trajans.
Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo außer dem unverweslichen heiligen Cyriakus
noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind.
Man findet dort eine schöne, prächtige, funkelnagelneue Inskription, daß Pius der Sechste auf
seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heiligen in
Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst
auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ankona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O sancta!
heute
Im Theater schaut Seume sich eine alte Posse an.
Und: Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo es so teuer wäre wie in Ankona; ... Die Barbiere bringen jederzeit einen Bedienten
mit, eine Art von Lehrling, der das Becken trägt und die Kunst des Bartscherens von dem großen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der
Tat so geräumig, daß man bequem einige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, daß die erhitzte Phantasie
Don Quixotte's so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen
in Ordnung gelegt hat und fordert etwas della bona mano, della bona grazia, und macht zu einer Kleinigkeit eben kein sehr freundliches Gesicht.
Mein Bart hat mich bei den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und wenn ich länger hier bliebe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der
Kapuziner halten.
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